Über das Gläserrücken und andere Dinge dieser Art kann ich nichts schreiben, weil ich damit noch keine Erfahrungen gesammelt habe und auch nie welche sammeln werde. Von solchen Sachen halte ich mich fern.
Wohl aber über das Kartenlegen, wenn man das dazuzählen kann. Ich bin gelernter Fotograf und hatte als Lehrling eine Chefin, von der mir unser Geselle erzählte, dass sie es versteht, Karten zu legen, um die Zukunft vorauszusehen. Sie machte kein Geschäft daraus, sondern tat das nur für sich. Wir hatten auch manchmal Gelegenheit, festzustellen, dass sie Geschehnisse voraus sah, die sie unmöglich wissen konnte. So sagte sie mir einmal, dass ich als Baby schwer krank gewesen sei und beinahe daran gestorben wäre. Das stimmte. Damals war ich en leidenschaftlicher Radfahrer und eines Tages holte mich ein Freund von der Arbeit ab, weil wir eine Radtour machen wollten, bei der es bestimmt sehr spät werden würde. Da hob sie warnend ihren Zeigefinger und mahnte:"Pass bloß auf, mit dem Rad stürzt man leicht!"
Tatsächlich, als wir in der Dunkelheit durch eine schotterige Gegend fuhren, kam ich ins Schleudern und stürzte. Viel habe ich aber nicht abbekommen, nur zwei blutige Knie.
Nun gut, so weit. Aber als sie mir eines Tages sagte, dass meine Mutter schwer krank sei, sie wisse es, aber ich nicht und mich würde es eines Tages wie ein Blitz aus heiterem Himmel treffen, und eines fernen Tages würde mich die gleiche Krankheit befallen, das war mir dann doch zu viel. Ich geriet in Panik, stellte meine Mutter zur Rede, aber sie stritt ab, dass sie irgendeine Krankheit hatte. Wenn man sie so ansah, konnte man auch fast nicht glauben, dass sie krank war. Sie war damals so um die fünfzig, sah gut aus, war lebenslustig und wurde nie müde.
Einflechten muss ich hier noch, dass sich das alles in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre abspielte. Damals war meine Mutter eine der wenigen Frauen, die arbeiten gehen mussten, weil mein Vater zu früh verstorben war und die Witwen und Waisenrente hinten und vorne nicht reichte. Und ihre Arbeit war nicht gerade leicht.
Einige Jahre später war es dann so weit. Im Februar 1972 erlitt meine Mutter eine schwere Herzattacke und im Jahr darauf, wieder im Februar, noch eine. Sie sprach aber auf die Medizin gut an und erholte sich langsam. Nur arbeiten konnte sie nicht mehr, sie musste in Frühpension gehen und das drei Jahre vor der eigentlichen Pension (Damals gingen Frauen noch mit 55 in Pension.)
Und was mich betrifft? Ich hatte vor vier Jahren einen leichten Herzinfarkt. Daraufhin kam ich in die Klinik und dort bekam ich auch noch zwei leichte Infarkte. Ich habe sie ganz gut überstanden. Nur musste ich mich auch pensionieren lassen. Das macht aber weiter nichts aus, denn ich hatte immer gut verdient, also finanzielle Sorgen haben wir keine.
Aber zurück zu meiner Chefin, oder besser gesagt, zu deren Familie. Es war gut zehn Jahre später, ich war längst kein Lehrling mehr, sondern hatte es schon zu etwas gebracht, war aber immer noch mit meiner alten Chefin in Kontakt. Da überfiel diese Familie eine wahre Unglücksserie. Sie hatte zwei Töchter, die eine wurde schwer Nierenkrank, ihre Nieren hatten sich praktisch aufgelöst und sie musste zweimal in der Woche zur Dialyse. Später bekam sie eine Spenderniere, starb aber trotzdem zwei Jahre später.
Ihre zweite Tochter starb bald darauf an Krebs und meine ehemalige Chefin blieb allein zurück. Ihr Schwiegersohn kam bei einem wirklich blöden Unfall, weil ein betrunkener Fahrer das Rotlicht überfahren hatte, ums Leben.
Langsam wurde die Frau alt und wenn ich sie besuchte, saß sie immer irgendwie verloren da und wußte sich nichts anzufangen, bis der Tod auch sie erlöste.
Ob ein Zusammenhang zwischen dieser Unglückserie und dem Kartenlegen bestand, weiß ich natürlich nicht. Aber so etwas birgt nie etwas Gutes in sich und deshalb lasse ich lieber die Finger von diesen Dingen.